Der Verkehr in Georgien

Grundsätzlich kann man sagen, dass die Georgier begnadet gute Autofahrer sind. Wir haben nur ganz wenige Unfälle gesehen. Und das, obwohl die Straßen meist abendteuerlich sind, auch dort, wo es Asphaltbelag gibt. Denn auch hier gibt es Dellen, Löcher, Gräben mitten auf den Straßen, Gullis liegen oft sehr (SEHR!) tief und es kann auch vorkommen, dass ein Gullideckel komplett fehlt, also der Schacht offen liegt (das hatten wir in Kutaisi auf einer der Straßen, die zu unserem Hotel führten). Wenn man das in der brennenden Sonne, zwischen dem dichten und chaotisch wirkenden Verkehr oder nachts nur einmal übersieht, rappelt es nicht bloß, sondern man kann sein Auto womöglich dezent wegwerfen.

Man muss sich also in jedem Moment wirklich sehr auf die Straße konzentrieren, um sein Auto (und besonders so einen anfälligen „VIP-Car“ wie unseren Hochglanz-BMW) heil über die Pisten zu bekommen.

Aver dann kommt der Verkehr hinzu. Der wie gesagt — auf den ersten Blick völlig chaotisch wirkt. Das ist er aber nicht, denn es gibt durchaus Regeln. Fangen wir mit den Regeln an, die unsereiner kennt:

In den großen Städten gibt es Ampeln. Zwar dominieren auch hier Kreisverkehre, aber manchmal gibt es doch auch Ampeln. Und die sind oft echt genial gemacht, sie tragen nämlich Count-down-Anzeigen. Die zeigen die Sekunden an, die die jeweilige Farbe noch leuchtet. Ich sehe also schon von weitem, dass die nächste Ampel in 38 Sekunden auf rot springen wird und kann dann entscheiden, ob ich lieber Gas gebe, oder schon mal vom Gas gehe. Und während ich dann stehe, kann ich entscheiden, ob ich noch was trinke — 26 Sekunden dürften dafür wohl reichen — oder lieber doch nicht mehr (bis Vinnie- die Flasche vom Rücksitz geangelt und geöffnet hatte, blieben nur noch 11 Sekunden, Mist!). Das ist eine tolle Sache udn ich würde mir solche Count-down-Anzeigen auch für Deutschland wünschen!

Vorfahrtsregelungen: Bei manchen Kreisverkehren gibt es aufgemalte Vorfahrtszeichen. Die meist, aber nicht immer, zeigen, dass der Verkehr IM Kreisverkehr Vorfahrt hat gegenüber den einmündenden Straßen. Aber wie gesagt, nicht immer. Allerdings, diese Vorfahrtsregelungen sind von nur sehr untergeordneter Relevanz. Denn generell läuft der Verkehr nach diesen drei Grundregeln:

1.) Pragmatismus
Grundregel: Man fährt so, dass es passt.

Georgier kennen die Abmessungen ihrer Autos auf den Zentimeter. Und sie können Entfernungen und Lücken ebenfalls auf den Zentimeter abschätzen. Das ist ernst gemeint! Wie schon früher beschrieben, passen auf eine zweispurige, enge Straße mit Berg- und Talseite beim Überholen recht routiniert auch drei Autos nebeneinander, ohne dass dies jemandem den Puls hochtreibt (während ich auf dem Beifahrersitz fast gestorben bin vor Angst).

Vor allem aber ist dieses Können notwendig, weil weniger nach starren Vorfahrtsregeln gefahren wird, sondern eher nach dem Pragmatismus: Was passt wo durch. Für den Kreisverkehr bedeutet das, dass jeder einfach mal reinfährt, wo gerade noch ein Fitzel Platz ist und dann guckt man mal, wie man wieder rauskommt auf der anderen Seite. Bei sehr dichtem und langsamen Verkehr — wie im Video — ist das einfach nur irritierend, aber keine Herausforderung (solange es einen kalt lässt, dass die Autos aus allen Richtungen auch mal nur wenige Zentimeter Abstand haben, man muss dafür also nur einfach Optimist sein).

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Handwäsche des Autos
Die Autowäscher sind grandios, sie machen die Arbeit extrem gründlich und zudem auch mit unglaublicher Freude (was vermutlich auch am „VIP-Car“ lag).

Über den Kreisverkehr in Batumi im Video mussten (oder wollten) wir an diesem Nachmittag gleich drei Mal: Zuerst noch mit Notrad hinten links und den neuen Reifen auf dem Rücksitz in Richtung Flughafen, um uns dort in einer Werkstatt die Reifen montieren zu lassen. Da floss der Verkehr praktisch exakt wie auf dem Video, kam aber nicht zum Stehen, sondern man kämpfte sich halt munter ‚irgendwie‘ über die Kreuzung. Halt so, dass es für alle je nach Raumangebot, Platzbedarf und Richtung aufgeht. Das ist echt stressig und gleichzeitig wundersam. Weil es eben auch irgenwie immer passt. Beim zweiten Mal waren wir mit den neu montierten Reifen auf dem Rückweg. Ich hatte aber kurz vor der Kreuzung die wunderbaren Autowäscher entdeckt und beschlossen, deren Dienste in Anspruch zu nehmen. Darum fuhr ich nicht geradeaus über den Kreisverkehr, sondern nutzte ihn, um zu wenden. Und was soll ich sagen: Das klappte ebenfalls in dieser Form eines chaotisch wirkenden, aber irgendwie doch ideal ineinandergepuzzelten Tanzes.

Das Video machte Vinnie- dann bei der dritten Überquerung, also als das Auto frisch gewaschen war und wir nun tatsächlich auf dem Rückweg waren. Mittlerweile hatte der Verkehr noch weiter zugenommen. Und zum (späten) Abend hin kommt in Batumi dann eine Rush-hour auf, die irgendwie schon außerirdisch wirkt, vor allem wenn man bedenkt, wie wenige Einwohner die Stadt eigentlich hat.

Empathie
Grundregel: Man fährt so, dass es auch für die anderen passt.

Damit es passt, muss es auch für die anderen Teilnehmer passen. Georgier fahren vorausschauend und versetzen sich in die anderen hinein. Wenn man gerade überholt und weiter vorn eine Kuh halb auf der Spur steht, weiß man, der neben einem wird herüberziehen müssen. Also zieht man auch selbst schon passend herüber. So muss das Überholmanöver nicht abgebrochen werden und der Überholte muss nicht verlangsamen — win/win!

Wenn ich in den Kreisverkehr hineinziehe, dann stimme ich mein Tempo und/oder meine Spur so ab, dass der, der gleichzeitig geradeaus hindurchschießt eben genau hinter oder genau vor mir vorbeischießt. Je nachdem, wie es besser hinkommt. Win/win!

Ganz entscheidend, um heil durch den Verkehr zu kommen, ist daher Optimismus. Oder Gottvertrauen. Oder beides. Und vor allem muss man berechenbar fahren. Wenn man zögerlich fährt oder nicht weiß, wohin man will, dann ist man auch für die anderen Fahrer nicht „lesbar“. Dann wird es gefährlich. Also immer eindeutig fahren. Alles ist besser, als zögerlich zu fahren oder sich gar urplötzlich umzuentscheiden. Wobei Georgier mit ihrem siebten Sinn auch auf plötzliche Richtungswechsel oft bewunderswert schnell reagieren. Aber besser ist es, notfalls einfach falsch abzubiegen. Und zwar nicht nur, wenn man einen Irrtum zu spät bemerkt, sondern u.U. auch einfach aus Rücksicht auf den Verkehr:

In Kutaissi mündet die Einbahnstraße, in der unser Hotel steht, leicht schräg auf eine der Hauptverkehrsstraßen. Die ist aktuell im Bau, also abschnittsweise aufgerissen und geschottert, wird aber je nach Verkehrslage meist pro Richtung dreispurig befahren. Rechts Richtung Zentrum in diese Hauptstraße einbiegen, ist meist ganz ok, weil — Empathie! — der anrauschende Verkehr ein wenig Platz macht und man sich dann sozusagen seitlich in den Autostrom hineinschummeln kann. Links abbiegen ist ebenfalls erlaubt, aber zum einen wegen des Einmündungswinkel schwierig, vor allem aber, weil ja praktisch nie alle sechs Spuren der insgesamt vierspurigen Straße frei sind (oder wenigstens vier/fünf). Weil schräg versetzt gegenüber unserer Einmündung auch eine Straße abgeht, gibt es den Trick, erst rechts zu fahren und dann direkt links abzubiegen, um auf dieser gegenüberliegenden Einmündung zu wenden und sich danach wieder rechts abbiegend dann in der gewünschten Richtung zu befinden. Das bedeutet aber, dass man sich durch alle vier Straßenspuren der Hauptstraße (also sehs Autoreihen) kämpfen muss und dann noch auf der kleineren Straße wenden (also durch im Schnitt drei Autoreihen, die die einen überholen sowie zwei Gegenspuren.

Als wir mit dem Taxi zum Flughafen fuhren, setzte unser Taxifahrer kurz an, um diese Methode des links Abbiegens anzuwenden. Aber er sah praktisch sofort, dass das nicht wirklich praktikabel ist. Ich glaube in Deutschland hätte es Leute gegeben, die sich wirklich irgendwie in die Mitte gestellt hätten und darauf gepocht, dass linksabbiegen möglich sein müsse — was eine schöne S(t)auerei gegeben hätte. Unser Taxifahrer sah aber sofort, dass er beim aktuellen Verkehr keine Chance haben würde und brach seinen Versuch sofort ab. Er wählte stattdessen einfach eine andere Route aus der Stadt heraus. Sehr pragmatisch und vor allem Einsichtig, was die Gesamtsituation betrifft.

Wir mussten drei mal nach links aus unserer Straße heraus. Beim ersten Mal war es wie bei der Taxifahrt, keine Chance für den Wende-Trick und schon gar keine für ein direktes Linksabbiegen. Auch wir wählten daher die pragmatische Lösung, eine ganz andere Route aus der Stadt zu nehmen. Auch beim zweiten mal gab es keine Chance und ich versuchte mein Glück gar nicht erst. Stattdessen fuhren wir einfach bei nächster Gelegenheit zweimal links und kamen so über eine Einmündung in gewünschter Richtung zurück auf die Hauptstraße. Beim dritten mal, als wir uns auf den Weg machten, vor der Abgabe unseres Wagens noch eine Wäsche für ihn zu suchen, hatte ich aber Glück — warum auch immer kam eine Lücke im Gegenverkehr auf und ich konnte durchhuschen und per anschließender U-Wendung direkt auf die Hauptstraße drauf. Fazit: Man muss einfach immer flexibel sein, und auf die momentane Verkehrslage stets so reagieren, dass es für alle optimal passt.

Die realen Vorfahrtsregeln
Grundregel: Es gibt ungeschriebene Vorfahrtsregeln.

Auch wenn es so scheint, als würde einfach jeder so drauflos fahren, gibt es doch sozusagen ungeschriebene — aber dennoch klar erkennbare — Vorfahrtsregeln, die festlegen, wer im laufenden Verkehr Vorrechte hat und wer wenn nötig den Weg freigibt. Die Vorrechte sind, soweit ich das beobachtet habe, wie folgt gestaffelt:

  • Wer forscher (und schneller) fährt, hat Vorrecht
  • Wer das schnellere Auto hat, hat „vorrechter“
  • Wer das teurere Auto hat, hat „am Vorrechtesten“

Darum hatte ich mit unserem Luxusauto eigentlich auch wenige Probleme: Der BMW war ein VIP-Car und schnell und hatte allein dadurch schon „höhere Rechte“ im Verkehr. Solange ich nicht zögerlich fuhr, bin ich nur sehr, SEHR selten in Situationen gekommen, wo ich mich bedrängt, geschnitten oder ähnliches gefühlt habe. Eigentlich hielten sich nur die Kühe, Esel und Sauen nicht dran, mir Platz zu machen.

Kommunikation (und Hilfe)
Hupen ist freundliche Kommunikation

Es hupt ständig um einen herum. Man darf aber nicht den Fehler machen, dies als „Motzen“ misszuverstehen. Hupen ist vielmehr normale Kommunikation und durchaus freundlich gemeint. Denn allein mit Tele- und Empathie ist das Chaos nicht sicher beherrschbar, nicht einmal für Georgier. Darum wird gehupt. Wer hupt, sagt damit, „Achtung, ich fahre jetzt durch“. Das bedeutet auch, dass alle anderen dann entsprechend ausweichen oder verlangsamen müssen.

Das klingt jetzt unpraktikabel und anfangs ist es auch sehr verwirrend, weil ja im dichten Verkehr ständig irgendwer hupt. Aber in der Realität funktioniert es ganz gut und ich habe mich auch hin und wieder der Hupe bedient, wenn ich nicht ganz sicher war, ob die Größe und der Glanz unseres Fahrzeuges allein ausreichen, zu dokumentieren, dass ich jetzt einfach durchfahren werde. (Leider ist die Hupe des BMW echt schwergängig gewesen, da muss echt nachgebessert werden für den Export!)

Manchmal wird aber auch nur gehupt, um jemanden zu grüßen. Das ist aber weniger verwirrend, als man denkt. Denn derjenige achtet in dem Moment eh auf den zu Grüßenden und man tut darum sowieso gut daran, ihm sicherheitshalber die Vorfahrt zu lassen.

Und schließlich gibt es auch die Helfer: Wo es echt schwierig wird, findet sich meist jemand, der hilft — und beispielweise einen aus Parklücken in den fließenden Verkehr winkt. Oder wie am Mtirala-Nationalpark, wo uns auf der einspurigen Schotterpiste am Hang direkt hinter einer Metallplatten-Brücke eine Walze entgegen kam. Vor der Brücke befand sich ein Honig-Verkaufsstand und der Verkäufer, der usn soeben noch über die wackelige Brücke gewunken hatte, eilte aus seinem Stand, lotste uns den kleinen Hang zurück, organisierte das weitere Vorgehen der Walze und ermunterte uns später zum erneuten hochfahren.

Gut das war jetzt alles nicht soooo hilfreich gewesen, denn seine erste Winkerei hatte uns ja fast in die Walze getrieben und die zweite Winkerei brachte uns dann am Berg zwar etwas weiter und tatsächlich wurde es dort auch etwas breiter — dafür standen wir dann sowohl Walze als auch noch Gegenverkehr gegenüber. Aber das ließ sich dann in „direkter Kommunikation“ (Licht- und normale Hupe sowie Gestik) auflösen.

Einbahnstraßen
In den Städten sind viele Straßen Einbahnstraßen

Das ist eigentlich nur noch eine Randinformation: Wegen der Verkehrsdichte in Kombination mit der Enge der Straßen sind in den Städten sehr viele Straßen Einbahnstraßen. Das ist selbst bei etwas breiteren Straßen sinnvoll, schließlich braucht man ja die Breite, um den versunkenen oder offenen Gullis bzw. sonstigen Löchern auszuweichen, zu überholen etc.

Tipp: Man sollte sich nur eben darauf einstellen und seine Routen vorher entsprechend planen (Stichwort ‚forsches, berechenbares Fahren‘). Google Maps ist da übrigens keine Hilfe, die Richtungen werden dort oft falsch angezeigt. OpenStreetMap ist da besser.

Fazit:

Generell hat mir das Fahren in Georgien eigentlich richtig viel Spaß gemacht. Und hätten wir einen echten Offroader gehabt, wie wir ihn ja auch bestellt hatten, und nicht den super empfindlichen BMW X5, hätte ich auch wenig Nerven gelassen. Leider aber war der BMW eben KEIN Offroad-Auto, sondern in Wirklichkeit nur ein SUV, der vorgibt, ein Offroader zu sein. Dafür hat er sich mit Ausnahme der völlig ungeeigneten Reifen sogar gar nicht so schlecht geschlagen! Aber diese Reifen waren eine Katastrophe, nicht nur komplett desaströs für den Pass, sondern auch für die anderen Straßen. Ob es zum Mtirala-Park hoch ging, ins Gebirge des großen Kaukasus, ja eben sogar für die aufgerissenen Straßen in Kutaissi: Allzu oft konnten wir uns nur im Schritttempo vorwärts tasten und mussten dabei dennoch ständig zittern und bangen, ob die Reifen halten.

Und das Aufziehen des Notreifens auf dem Goderzi-Pass und das Herunterhoppeln auf eben diesem Minirad noch in der Nacht bis nach Batumi war rückblickend ein rieisiges Abenteuer. Mittendrin aber echt kein Spaß.